Abteilung XV
Die vollständig bedeckte und mehrstufige Gruft wurde aus Marmor in zwei Farben gebaut. Auf dem Grabstein steht die aus Gußeisen hergestellte Figur eines Engels, der sich nach vorne neigt. Bei der Gruft aus der Zeit vor 1918, signiert J. Scheurer Biala, handelt es sich um ein Familiengrab der Familie Matter. Die Matters waren an der Wende vom 19. zum 20 Jh. Besitzer von Lehmgruben und Ziegeleien, die in der Gegend der heutigen Straßen 3. Maja, Miarki, Przykopa, Stalmacha, Jordana und Świeżego lagen. Die Familie wurde von den deutschen Nationalisten dafür angegriffen, daß sie dem Polnischen Schulverein ein Grundstück für den Bau des polnischen Gymnasiums zur Verfügung gestellt hatte.
Hier handelt es sich um ein prächtiges Grabmal vom Typ eines Mausoleums, das einzige dieser Art auf dem Friedhof. Es besteht aus einer hohen gemauerten Kammer, die im Mittelteil erhöht und von einer Terrazoplatte bedeckt ist. Hinten steht ein großes Kreuz aus Marmor, und auf der Gruft befindet sich eine Laterne aus Metall sowie ein in heutiger Zeit hinzugefügtes Buch aus Marmor mit einer Inschrift. In der senkrechten Vorderwand der Gruft gibt es einen Eingang aus Metall sowie drei Tafeln aus schwarzem Granit. Es ist das Familiengrab der Familie Marcinek (der Marcineks aus Winograd), die Besitzerin eines der Grundstücke des Teschener Weinstocks war.
Auf der Westseite gibt es einen kleinen Weg, an dem sich eine Gruft aus Sandstein mit zwei Metallplatten befindet. Die Inschrift lautet: „1872-1938, für Tadeusz Reger den unermüdlichen Kämpfer für die Zugehörigkeit des schlesischen Volkes zu Polen und zum Sozialismus - Polnische Sozialistische Partei (PSP)“. Auf einer Scheibe aus Metall wird der Kopf des Verstorbenen in Form eines Reliefs dargestellt. Tadeusz Reger war nach Teschen aus Galizien gekommen. In dem Kohlengebiet Karwin-Ostrau gründete er polnische Gruppen der PSP. In den Jahren 1918-1920 war er Präsidiumsmitglied des Nationalrates des Teschener Herzogtums.
An einem kleinen Weg auf der Ostseite befindet sich eine Gruft aus Sandstein und Marmor, die typisch für den Stil der dreißiger Jahre des 20. Jh.s ist. Die Aufschrift lautet: Leopoldyna Kasperlik, Ehefrau eines Generals 6. 9. 1854 - 21. 12. 1931, Karol Kasperlik, Brigadegeneral der Polnischen Truppen im Ruhestand 14. 10. 1861 - 8. 1 1937 RiP (Requiescat in Pace)“. Karol Kasperlik war zuerst ein österreichischer später ein polnischer General und stammte aus Teschen. Er war Bruder des zum Tragen der Inful berechtigten katholischen Priesters Wilhelm Kasperlik, eines hohen Beamten der Diözese in Kattowitz. In der oben stehenden Beschreibung wurden Gräber genannt, deren Grabsteine deutlich Veränderungen in der Grabarchitektur aufzeigen, die sich im Teschener Schlesien in der Zeit von 1890 bis 2007 vollzogen haben. Bei einer Betrachtung der Grabsteine sieht man, wie sich im Laufe der Zeit der Geschmack und das ästhetische Empfinden der Generationen und der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen gewandelt haben. Die Auswahl der Gräber konnte nicht objektiv sein, weil erstens die Anzahl der hier besprochenen Objekte zu klein ist, und zweitens die Wahl nach bestimmten Merkmalen der Gräber vorgenommen wurde. Sie sollten möglichst authentisch sein, und zwar sowohl bezüglich ihrer Form, als auch der Eigentumsverhältnisse seit ihrer Entstehung.
Die Auswahl wurde daher nicht nach der Wichtigkeit der verstorbenen Personen getroffen.
Obwohl die Gräber an den Seitenwegen stark entstellt sind, kann man die Grabsteinarchitektur am besten analysieren, wenn man auch sie betrachtet, und nicht nur die Gräber am Hauptweg. Von der Entstehung des Friedhofs an hatten die alten Bürgerfamilien Grüfte an dem Hauptweg bauen lassen und den Platz für 40 oder 50 Jahre bezahlt. Nach 1945 waren viele dieser Familien in den Westen (hauptsächlich nach Österreich) ausgewandert, und die Grüfte wurden an andere Stadtbürger verkauft. Die Analyse dieses Vorgangs erlaubt, die Bevölkerungsmigration - besonders die nach 1945 - sowie die Entstehung von neuen privilegierten Gesellschaftschichten zu verfolgen.
Da in der Nachkriegszeit der Friedhof nicht dem Denkmalschutz unterlag, wurden viele der Grabsteine im Jugendstil, im Stil des Historismus oder des Modernismus abgetragen und das wertvolle Bau- und Ausstattungsmaterial entwendet. Es handelte sich dabei um Edelbaustoffe wie um den grauen und schwarzen Granit, Alabaster, Marmor in verschiedenen Farben, um Lampen, Ketten, Buchstaben aus Bronze oder Zäune aus (geschmiedetem) Metall. Die Gegenstände aus Metall wurden zu einer Schrotthandlung gebracht oder einfach beseitigt, da es nicht leicht war, sie zu ergänzen oder zu reparieren. Die traditionellen Grüfte, deren Grabkammern mit einer dünnen Schicht Erde gefüllt und innerhalb deren Umzäunung niedrige Pflanzen gepflanzt wurden, hatte man in der Nachkriegszeit durch „praktische“ Grabplatten aus Terrazzo oder aus Brennaer Sandstein ersetzt.
Da es zu dieser Zeit im Handel keine geeigneten Steinmaterialien gab, wurden sie entweder durch den Terrazzo oder durch Abrißelemente aus anderen Teschener Friedhöfen ersetzt. Besonders der „herrenlose“ jüdische Friedhof, der reich an wert-vollen Grabsteinen war, diente als Bezugsquelle für Baumaterialien.
Im Teschen der Nachkriegszeit gehörte auch zu allgemeiner Praxis, daß die deutschen Inschriften von den alten Grabsteinen abgeschlagen wurden. Diesem Schicksal entgingen auch nicht die Grabdenkmäler für zwei Bürgermeister der Stadt - Johann und Leonhard Demel.
Wie man den wenigen erhalten gebliebenen Archivmaterialien entnehmen kann, wurden die einzelnen Quartiere nach einer festen Ordnung abgemessen. Wir kennen den Lageplan der Gräber aus der amtlichen Anweisung Nr. 4, die als Beispiel dienen könnte. Dieser Lageplan zeigt die Aufteilung der Erdgräber mit den Maßen 2 x 2,5 Meter mit Grabsteinen in unterschiedlichen Formen und einer mit Erde bedeckten Grabkammer. Die einzelnen Gräber hatten identische Maße von 1,70 x 2 Meter. Die fehlenden 30 Zentimeter waren für den Durchgang zwischen ihnen bestimmt. Für die Pflanzen hinter dem Grab waren 50 Zentimeter vorgesehen. Es ist wahrscheinlich, daß auch der Friedhof in Teschen nach dem gleichen Plan aufgeteilt wurde.
Wenn man die verschiedenen Grabgestaltungen analysiert, kommt man zu folgendem Ergebnis: Am häufigsten kommen breite Gräber vor, bei denen die Grabplatte in der Mitte liegt und der Rest des Platzes mit einer niedrigeren Platte oder mit Erde bedeckt ist. Die Gräber hatten meistens eine Umzäunung, die aus geschmiedeten Zäunen in verschiedenen Höhen bestand. Ihre Formen waren sehr vielfältig, als Dekorationselement überwogen aber Pflanzenmotive. Mit der Zeit änderte sich auch der Stil der Zäune. Später bestanden sie häufig aus einer massiven Kette oder aus einem schlichten Geländer, das die einzelnen Pfosten verband. Die Grabzäune wurden meistens von den Teschener Handwerkern hergestellt - von Jan Czakon, dem Bau- und Kunstschloßer, oder den Schloßern Riese und Wybraniec.
Auf Gräbern dieser Art wurden überwiegend Obelisken oder Kreuze auf hohen, mehrstufigen Sockeln aufgestellt. Große architektonisch-bild-hauerische Kompositionen bildeten bei der Grabgestaltung eine Ausnahme.
Die Gräber, die den Grundriß eines schmalen Rechteckes hatten und deren kurze Seite parallel zu dem Friedhofsweg verlief, hatten meistens keinen Zaun. In solchen Fällen hatten die Grabsteine die Form eines Kreuzes, einer Scheibe, oder auch eines Portals, das den Übergang von Diesseits ins Jenseits symbolisieren sollte. Bei Grabsteinen in Form eines Portals waren den individuellen Lösungen keine Grenzen gesetzt. Es gibt sie also nach griechischer oder romanischer Art und auch solche, die im Architekturstil der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jh.s angefertigt wurden.
Es sind wenige Grabsteine erhalten geblieben, in denen bildhauerische Elemente vorkommen. Dazu gehören Figuren, die einen traurigen Engel, oder eine Frau darstellen. Nicht selten gibt es auch Reliefs mit dem Kopf des gekreuzigten Christus. In der Art, wie die Grabsteine entworfen wurden, sind alle Architekturstile sichtbar, die vom Ende des 19. Jh.s an herrschten. Daher sind auf dem Friedhof folgende Stile vertreten: der Historismus, der Jugendstil, der Modernismus, der Expressionismus und der Funktionalismus.
Die alten Grabsteine aus dem 19. und 20. Jahrhundert wurden in den Teschener Werkstätten angefertigt. Die bekannteste Werkstatt war die des Steinmetzes und Bildhauers Jan Swarowski. Auch sein Sohn Karol und Enkel Jan erlernten diesen Beruf. Im Teschener Adreßbuch von 1931 wirbt Jan Swarowski, der Enkel, mit folgenden Worten um Kunden: „Steinmetzmeister und Bildhauer, Teschen, Bobreker- Ecke Hoenheiserstraße, Herstellung von Grabsteinen aus Steinen jeder Art - Zeichnungen, Kostenberechnung. Ich bin immer zu allen Leistungen bereit, die Reparaturen berechne ich günstig und mache sie schnell“. Im Adreßbuch aus 1900 machte Raimund Schuster - Bildhauer und Steinmetz - Werbung für seine Dienstleistungen. Auch der akademische Bildhauer Józef Adamczyk war in Teschen tätig. Auf einigen Grabsteinen sind Signaturen von Steinmetzfirmen angebracht. Man findet die Namen von Scheurer aus Biala, J. Becke aus Mährisch-Ostrau oder Sommer & Weniger & Bonnerschein aus Wien. Es sind nur wenige Firmennamen, die man aus Signaturen auf den Grabsteinen oder aus erhalten gebliebenen Dokumenten kennt. Dieses Wissen ist jedoch unvollständig und heute nicht mehr zu rekonstruieren.
Am wenigstens interessant ist die Grabstein-„Kunst“, die nach 1945 produziert wurde. Der Mangel an edlen Materialien und derbe „Modernität“, die sich in vereinfachten und vereinheitlichten Formen ausdrückte, hatten zur Folge, daß Teile der alten Quartiere sowie der gegenwärtig benutzte Teil des Friedhofs ein trauriges Bild bieten. Gelegentlich werden Versuche sichbar, den Schematismus durch Skulpturen oder Reliefs zu überwinden. Sie gehören jedoch zu den Ausnahmen.
Eine eingehende Betrachtung des Friedhofs erlaubt, die Bevölkerungsbewegung zu verfolgen, die seit seiner Entstehung bis in die heutige Zeit stattgefunden hat. Der Friedhof zeigt auf eine sehr zuverlässige Weise alle geschichtlichen und gesellschaftlichen Veränderungen auf. Hier sind nämlich reiche Stadtbürger, Fabrikanten und Kaufleute begraben, die polnische, deutsche, oder seltener, tschechische Namen trugen. Weil sich Teschen in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s dynamisch entwickelte, ließen sich bekannte Familien aus Galizien, Österreich oder sogar Italien in der Stadt nieder. So zum Beispiel waren die Marcineks aus Bochnia, die Monné-Reder und die Grafen Fredro-Pakole aus Lemberg gekommen. Die Familie Dibon wanderte sogar aus Italien ein. Heute läßt es sich schwer feststellen, wer abseits der teuren Hauptwege und in der Mitte der einzelnen Abteilungen bestattet wurde, da die Erdgräber bereits mehrmals ihre Besitzer gewechselt haben. Aus einer oberflächlichen Analyse der Sterbebücher vom Ende des 19. Jh.s geht hervor, daß die meisten Verstorbenen polnische, polnische aber verdeutschte, deutsche oder tschechisch klingende Namen trugen. Kreuze, die in einigen immer gleichen Formen in der Eisenhütte in Trzynietz (Třinec) gegossen wurden und heute immer seltener werden, sind die einzigen Spuren dieser alten Gräber.
Die Beerdigung - der letzte Weg der Verstorbenen - unterlag einem bestimmten Zeremoniell, das von den finanziellen Möglichkeiten der Auftraggeber abhing. In den Sammlungen des Museums des Teschener Schlesiens sind zahlreiche Gegenstände erhalten geblieben, die mit der Tätigkeit der Beerdigungsfirma „Concordia“ der Familie Skudrzyk zusammenhängen. Nachdem die Firma fast hundert Jahre bestanden hatte, schloß sie in den achtziger Jahren des 20. Jh.s ihre Türen. Bis es so weit war, wurde der Verstorbene auf den Friedhof in einem prächtigen Leichenwagen gefahren. Der Wagen, eigentlich eine Kutsche, war mit reichen Skulpturen geschmückt, hatte Scheiben aus Kristallglas, auf denen kirchliche Symbole geschnitzt waren, die den Sarg den Blicken entzogen. Vor die Leichenkutsche waren schwarze Pferde eingespannt, und an ihrer Seite marschierten die Sargbegleiter, die Napoleonshüte und Gehröcke trugen sowie gelöschte Fackeln in den Händen hielten. Im Jahre 1931 machte die Firma Skudrzyk und ihre Teilhaber folgende Werbung im Teschener Adreßbuch: „Wir empfehlen uns, Beerdigungen auszurichten, Exhumierungen durchzuführen und Transporte aus Teschen und außerhalb der Stadt zu organisieren. Die Firma stellt die schönsten und modischsten Leichenwagen zur Verfügung, hat einen großen Vorrat an Särgen aus Metall und Holz in allen Größen, Kissen, Spitzen für die Särge, Kerzen, Kleidung für die Verstorbenen, Kränze mit Schärpen u.s.w. zu niedrigsten Preisen“. In der gleichen Zeit war in Teschen auch ein städtisches Beerdigungsinstitut namens „Pietas“ in Betrieb. Die Leichenwagen, die bis heute erhalten blieben, wären es wert, auf dem Friedhof ausgestellt zu werden, weil sie Zeugen des Wohlstands und des Geschmacks der Stadtbürger von Teschen sind.
Diese Abhandlung hat einen allgemeinen Charakter und stellt den Versuch dar, die Aufmerksamkeit der Leser und Friedhofsbesucher auf den Kommunalfriedhof, aber auch auf andere alte Friedhöfe, zu lenken. Wenn wir sie besuchen, werden wir selbst Zeugen der Stadtgeschichte und der Geschichte der hier wohnenden Bürger, ihres Geschmacks, ihrer Mode, ihres Schicksals und ihrer Lebensdramen. Wir sollten darüber nachdenken und dann versuchen, trotz der Zerstörungen, die in der Vergangenheit stattfanden, den Friedhof in seinem authentischen Zustand zu erhalten. Dabei könnten uns andere alte Friedhöfe ein Vorbild sein.