Ehrenbürger der Stadt
Es ist selbstverständlich, daß verschiedene Gruppen und Kreise einer Gesellschaft diejenigen Menschen würdigen und auszeichnen, die sich um ihr Wohl besondere Verdienste erworben haben. Die Anerkennung kann in materieller Form erfolgen, oder eine Ehrenauszeichnung sein. In Zeiten, als die städtische Gemeinschaft unter der Herrschaft der Feudalherren und später ihrer Behörden stand, war der Herrscher oder seine Beamten für die Beurteilung der Verdienste und die Belohnung eines einzelnen zuständig. In Cieszyn zum Beispiel waren einige Bürgermeister für ihre Verdienste sowohl für die Stadt wie auch für die Herrscher in den Adelsstand erhoben worden.
Der Anstoß zu einer Ehrenauszeichnung für besondere Verdienste für die örtliche Gemeinschaft ging früher immer von den Behörden aus. So zum Beispiel wurde im Jahre 1809 der Religionslehrer des Teschener Gymnasiums Pater Leopold Jan Szersznik für seine Tätigkeit sowohl als Kommunalpolitiker wie auch als Gründer des Museums und einer öffentlicher Bibliothek mit dem Titel eines Teschener Ehrenpfarrers ausgezeichnet und das Recht erhalten, das Kreuz an einer goldenen Kette zu tragen. Im Jahre 1815 hatte auch Pfarrer Józef Paduch, damals Vikar in Cieszyn, eine goldene Medaille für seine Verdienste und die aufopfernde Arbeit in den Militärlazaretten während des vorangegangenen Krieges erhalten.
Aber erst der Völkerfrühling und das mit dem kaiserlichen Patent am 17. März 1849 erlassene „Provisorische Gemeindegesetz“ erkannte die Gemeinden, die der österreichischen Monarchie angehörten, also auch die in Teschener Schlesien, als eine Rechtskörperschaft an und ermöglichte damit, daß die Gemeinden ihre Dankbarkeit für besondere Verdienste ihrer Bürger durch die Verleihung des Titels eines Ehrenbürgers bekunden konnten. Die Verwaltung in Cieszyn hatte bereits ein paar Monate nachdem dieses Patent erlassen worden war, die Würde eines Ehrenbürgers verliehen. Der erste Ehrenbürger von Cieszyn wurde Kommissar Hermann Pokorny (der aber gerade seinen Posten wegen einer Beförderung verließ). In den kommenden zehn Jahren hatte man noch zwei weitere Bürger auf diese Weise ausgezeichnet. Es handelte sich dabei um zwei Geistliche, den Religionslehrer am Gymnasium Josef Kraus und den bereits erwähnten Józef Paduch.
Eine wahre Entwicklung der Gemeindeselbstverwaltung begann erst nach den politischen Umwälzungen in den Jahren 1859-1861 und nachdem das Selbstverwaltungssystem durch das sogenannte Februarpatent vom 26. Februar 1861 eingeführt worden war. Die Bedeutung dieses Verfassungsgesetzes war allen Beteiligten bewußt, darunter auch den Mitgliedern der Teschener Stadtverwaltung, die bereits nach diesem Gesetz gewählt wurden. Zwei Wochen vor dem Jahrestag des Verfassungsgesetzes am 14. Februar 1862 hatte der Stellvertreter des Bürgermeisters Gemeindevorstand Josef Schramm (sicherlich im Einvernehmen mit dem Bürgermeister Demel) in der Sitzung des Gemeindeausschusses den Vorschlag unterbreitet, diesen Jahrestag gebührend zu feiern, und zwar unter anderem dadurch, daß einige um den Staat verdienten Menschen die Ehrenbürgerschaft bekämen. Vorgeschlagen wurden folgende Personen: Staatsminister Anton von Schmerling, der Präsident des Abgeordnetenhauses und Landeshauptmann Johann von Larisch, der ehemalige Statthalter von Mähren Josef von Kalchberg sowie der „Kämpfer um Österreichs Größe“ Dr. Carl Giskra. Den Ehrenbürgertitel erhielt dann der Autor der Februarverfassung Anton von Schmerling. Erst im kommenden Jahr wurden jedoch Gesetze erlassen, die in Österreichisch-Schlesien die Bedingungen und die Prozedur regelten, die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Es handelte sich dabei um das Gemeindeordnungsgesetz vom 5. März 1862 sowie das Gesetz des Schlesischen Landtages in Troppau (Opava) vom 15. November 1863, die die Gemeindeordnung und die Gemeindewahlordnung einführten. Diese Gesetze enthielten die Grundanweisungen für die Selbstverwaltung der Stadt- und Landgemeinden. Die Gemeindeordnung für Österreichisch Schlesien bestimmte im Paragraph 8, daß die Gemeinden diejenigen Bürger, die sich um ihr Wohl besondere Verdienste erworben hatten und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, mit dem Titel eines Ehrenbürgers auszeichnen können. Die Ehrenbürger sollten damit alle Rechte eines Gemeindebürgers, ohne die dazugehörigen Pflichten erwerben (§ 9). Die Verleihung dieser Auszeichnung lag alleine in der Zuständigkeit des Gemeindeausschusses (§ 33, Punkt 2).
Städte, die die Stellung der sogenannten Statutarstädte (Kreisfreien Städte) - Troppau, Bielitz, Friedek - innehatten, konnten die Rechte und Pflichten der Ehrenbürger in ihren Statuten, das heißt in der Kommunalverfassung selbst näher bestimmen. Da Cieszyn kein eigenes Statut hatte, mußte bei der Vergabe der Ehrenbürgerschaft auf das übergeordnete Gesetz, also auf die Gemeindeordnung, zurückgegriffen werden. Danach wurde diese Auszeichnung auf Antrag des Gemeindevorstandes, häufiger aber der einzelnen Vorstände durch einen Beschluß des Gemeindeausschusses vergeben. Im Falle der Bürger von außerhalb lag solchem Beschluß immer ein bestimmtes Ereignis oder ein besonderer Anlaß zugrunde. Die Teschener Bürger erhielten die Ehrenbürgerwürde für die jahrelangen Tätigkeiten zum Wohle der Stadt. Die Beschlüsse wurden meistens einstimmig gefaßt. In einem einzigen Fall - des Pfarrers Jerzy Prutek - fiel der Beschluß nach einer stürmischen Diskussion mit der Mehrheit von nur zwei Stimmen. Gelegentlich hatte man sich vorher versichert, daß eine bestimmte Person die Auszeichnung auch annimmt.
Der Beschluß über die Ehrenbürgerschaft von Cieszyn wurde natürlich in dem Protokoll der Gemeindeversammlung aufgezeichnet, und dann durch Ausstellung einer entsprechenden Urkunde bestätigt. Die Urkunde war an die betreffende Person gerichtet, und außer der Information über die Verleihung der Ehrenbürgerschaft und der allgemeinen Dankesworte für die Leistungen zum Wohle der Stadt, enthielt sie eine ausführliche Aufstellung der Verdienste, die zu der Auszeichnung geführt hatten. Der Text einer solchen Urkunde war anfangs ziemlich ausgefallen, und man hatte besonders geeignete Personen mit seiner Abfassung betraut. Zum Beispiel wurde der Text über die Ehrenbürgerschaft für Anton von Schmerling von dem städtischen Angestellten, Laienhistoriker und -dichter Paul Lamatsch von Warnemünde verfaßt, der zu damaliger Zeit einen guten Ruf als Schreiber genoß. Mit der Abfassung der Urkunde für den Bürgermeister Jan Demel beauftragte der Gemeindeausschuß eine zu diesem Zweck berufene Kommission, der folgende Personen angehörten: drei Rechtsanwälte, alle Doktoren der Rechte (Alfred Rosner, Roman Schuster, Leopold Drößler), der Buchhändler Karl Prochaska und Anton Peter. Im übrigen hatte diese Kommission fast zwei Jahre gebraucht, um einen entsprechenden Text aufs Papier zu bringen. In den späteren Zeiten hatte man die Texte vereinfacht, so daß sie im Stil eines Amtsschreibens geschrieben wurden. Urkunden, die für bedeutende Persönlichkeiten bestimmt waren, hatte man außerdem aufwendig geschmückt, so zum Beispiel wurde die Urkunde für Anton von Schmerling von dem Teschener Maler Edward Świerkiewicz und dem Kanzeleibeamten Kożesznik gestaltet.
Die Aushändigung der Urkunde stellte dann den Höhepunkt des Verfahrens, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Cieszyn zu verleihen. Die Geehrten, die in Cieszyn gewohnt hatten, erhielten die Auszeichnung während der nächsten Sitzung des Gemeindeausschusses oder bei der nächsten städtischen Feier. Zu Personen von außerhalb hatte man eine Abordnung von Bevollmächtigten entsandt. Es gehörten dazu die Mitglieder des Gemeindeausschusses und die Gemeindevorstände, und an der Spitze dieser Abordnung stand dann der Bürgermeister oder sein Stellvertreter.
Mit der Aushändigung der Urkunde endete meistens das Verfahren zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft. Gelegentlich wurde es um zusätzliche Elemente erweitert. So war es zum Beispiel im Jahre 1882 im Fall des Bürgermeisters Demel. Der Gemeindeausschuß beschloß, an seinem Haus zusätzliche Gasbeleuchtung mit der Aufschrift „Hoch dem verdienstvollen Manne“ zu installieren. Diese Idee hatte ihren Ursprung in der Tatsache, daß Bürgermeister Demel die Ehrenbürgerschaft wegen seiner bedeutenden Rolle bei der Errichtung und Inbetriebnahme des Städtisches Gaswerkes verliehen wurde. Am Abend des 30. Septembers hatte das städtische Orchester vor seinem Haus eine Serenade gespielt, und die Vertreter des Gemeindeausschusses mit dem Senior Dr. Schuster an der Spitze wünschten Dr. Demel Glück. Gleichzeitig hatte der Gemeindeausschuß einen früheren Beschluß aus dem Jahre 1866 bekräftigt, im Sitzungssaal des Rathauses ein Ölbild dieses Bürgermeisters aufzuhängen. Sein Stellvertreter Johann Hoschek wurde beauftragt, das Porträt bei einem Kunstmaler aus Wien zu bestellen. Demels Ölporträt wurde von dem akademischen Maler und Mitglied des Gemeindeausschusses in Wien Joseph Matthäus Aigner geschaffen, und am 1. Mai 1884 im Sitzungssaal aufgehängt. In der Sitzung am 11. Mai 1884 hatte der Gemeindeausschuß das Bild für abgenommen erklärt. So war die Tradition entstanden, auch von anderen Teschener Ehrenbürger Porträts anfertigen zu lassen. Sie wurden in einem Saal hinter dem Sitzungssaal ausgestellt und befanden sich dort noch vor dem Zweiten Weltkrieg.
Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde hatte einerseits die Dankbarkeit der Stadtvertreter gegenüber den Personen ausgedrückt, deren Verdienste für die Stadt offenkundig waren, hatte aber andererseits die Stadt dazu verpflichtet, weiteres Interesse an den Ehrenbürgern zu zeigen. Die Bekundung dieses Interesses geschah auf mehrere Arten: man sandte Telegramme und Wunschkarten anläßlich verschiedener Ereignisse und Jahrestage, die von den Ehrenbürgern gefeiert wurden, ihr Tod wurde auf der nächsten Sitzung des Gemeindeausschusses von dem Vorsitzenden bekanntgegeben und ihr Andenken durch eine Schweigeminute geehrt, außerdem nahm an ihrer Beerdigung eine Abordnung der Stadtverwaltung teil. Zweimal fand das Begräbnis eines Ehrenbürgers auf Kosten der Stadt statt. So war es im Falle des Pfarrers Jerzy Prutek und auch des Bürgermeisters Jan Demel. Bei der Beerdigung wurde im Trauerzug die Ehrenbürgerurkunde zusammen mit anderen Auszeichnungen sichtbar getragen. Der Ehrenbürgertitel wurde auch in den Adressbüchern vermerkt.
Die Ehrenbürger hatten sich ebenfalls verpflichtet gefühlt, weitere gute Taten zum Wohle der Stadt zu vollbringen. Meistens handelte es sich dabei um Geldspenden. So hatte zum Beispiel Pfarrer Prutek weitere Stipendien für die Teschener Jugend gestiftet, wofür er dann noch eine weitere Dankesurkunde überreicht bekam.
Man hatte festgestellt, daß in neunzig Jahren, also in dem Zeitraum von 1849 bis 1939 über dreißig Personen mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Cieszyn ausgezeichnet wurden. Demnach wurde im Durchschnitt nur einmal in ein paar Jahren, das heißt selten, ein Beschluß darüber gefaßt. Der Bürgermeister Rudolf Halfar hatte 1937 dies als ein nachahmungswürdiges Beispiel angegeben. Im großen ganzen hatte es zwei Arten von Personen gegeben, deren Wirken auf diese Weise gewürdigt wurde: die Fremden von außerhalb von Cieszyn, denen der Titel wegen ihrer Position und vielleicht wegen der für die Stadt in Zukunft zu erwartenden Vorteile verliehen wurde, und die Einheimischen - aus Cieszyn und aus seiner unmittelbarer Umgebung - die durch bestimmte Leistungen (auf dem Bildungssektor, in der Wohltätigkeit, bei kommunalen Investitionen oder durch jahrelange Tätigkeit als ein hoher Stadtbeamter) zur Entwicklung der Stadt beigetragen hatten. Die letzteren waren entschieden in der Mehrzahl. In einem Fall - des Grafen Larisch - wurde der Titel im Rahmen einer größeren Aktion aller schlesischen Städte verliehen. Gegen Ende der österreichischen Herrschaftszeit und besonders während des Ersten Weltkrieges wurde der Titel eines Ehrenbürgers auch nach politischen Gesichtspunkten verliehen.
Man muß hinzufügen, daß im Jahre 1994 der Stadtrat in Cieszyn mit dem Beschluß Nr. LXI/445/94 vom 28. April 1994 verfügt hatte, daß die alte Tradition wiederaufgenommen wird, und er hatte den Titel eines „Ehrenbürger der Stadt Cieszyn“ festgelegt. Damit sollten Menschen geehrt werden, deren „verdienstvolles Leben und ihre Taten zur Folge hatten, daß sich Teschen der Verbindung mit ihnen rühmt“. Der erste, der am gleichen Tag auf diese Weise ausgezeichnet wurde, war der im Jahre 1923 in Cieszyn geborene Professor Richard Pipes, Historiker, Dozent an der Harvard-Universität, Berater des Präsidenten der USA Ronald Reagan in Sachen Rußland und Mitteleuropa sowie der amerikanisch-sowjetischer Beziehungen. Am 26. September 1996 hatte der Teschener Stadtrat beschlossen, mit dem Ehrenbürgertitel Herrn Dr. Jerzy Rucki, geboren in Jaworzynka, wohnhaft in Luzern, den Gründer des Heimatmuseums „Na Grapie“ in Jaworzynka, den Urheber der Städtepartnerschaft zwischen Cieszyn und Luzern zu ehren.